Rückblick Blockade

Tear Down Tönnies

Am Montag, den 21.10.2019 wurde die Schlachtfabrik
R. Thomsen im schleswigholsteinischen Kellinghusen besetzt. Wo sonst täglich bis zu 6000 Schweine ermordet und zu Fleisch gemacht werden, wurde nicht geschlachtet. 14 Stunden lang war der Betrieb blockiert. Nach Angaben des Betriebes wären in dieser Zeit sonst 4300 Schweine getötet worden. Die autonome Gruppe „Tear down Tönnies“ aus Tierbefreiungs- und Klimagerechtigkeitsaktivist*innen bekannte sich zu der Aktion. Die beiden Laderampen und das Dach des Schlachthauses wurden von circa 30 Personen besetzt. Die Aktion erregte bundesweite Aufmerksamkeit und beschäftigte die Lokalpresse noch Tage später.

Ziel der Aktion

In einem Flyer wurde die Motivation hinter der Aktion beschrieben:

Warum sind wir hier?

Für die nichtmenschlichen Tiere, denn sie werden eingesperrt, gequält und ermordet, um ihre toten Körper zur Ware zu wandeln. […]

Aus Solidarität mit den Arbeiter*innen, die hier ihren täglichen Kampf ums Überleben austragen. In dieser Industrie ist es üblich, Menschen etwa aus Rumänien und Bulgarien mit Versprechungen nach Deutschland zu locken, um sie hier in Werkvertragsarbeit zu verschleißen. […]

Im Kampf für die Natur, die gegen Ausbeutung im Streben nach Profit verteidigt werden muss. […] „Die Natur“ ist nicht das zu unterwerfende Gegenstück zur menschlichen „Kultur“, sondern ist in allen Lebenswelten unverzichtbar.

Der Schlachthof ist Sinnbild für Zerstörung. Mensch, Tier und Natur, untrennbar miteinander verbunden, leiden unter der kapitalistischen Ausbeutung und Vernichtung von Lebewesen und Ökosystemen. Das, was die Profiteur*innen spüren und ihre Verwertungsmaschinerie stört, sind direkte Aktionen, Sabotage und widerständiges Bewusstsein.

Ablauf der Aktion

Der Blockade ging eine monatelange Vorbereitung voraus.
Am Vortag der Aktion kamen erstmals fast alle Beteiligten für ein letztes Vorbereitungsplenum zusammen. All die Mühen zahlten sich am frühen Montag Morgen aus: Ungehindert konnte der Kleintransporter voller Blockierer*innen am erstaunten Pförtner vorbei auf das Betriebsgelände fahren und innerhalb weniger Minuten waren die drei angestrebten Orte – zwei Rampen und das Dach – durch Menschen in Ankettvorrichtungen blockiert. Außerdem wurde direkt die Soli-Mahnwache mit einem Pavillon aufgebaut, bei der sich Anwohner*innen und Interessierte informieren und moralische Unterstützung zeigen konnten. Die Polizei musste lange an einer Räumungsstrategie arbeiten und Spezialkräfte anfordern. Später am Tag wurde das besonders schwer überschaubare Dach mittels einer modernen Drohne ausgekundschaftet und auch die Mitteilungen der Polizei wurden den Besetzenden über Lautsprecher an dieser Drohne übermittelt. Die Gruppen machten deutlich, dass sie die Blockade nicht freiwillig aufgeben und ihren friedlichen Widerstand so lange wie möglich aufrecht erhalten würden. Über legitime Aktionen im Verlauf der Blockade war sich am Vortag in den Bezugsgruppen und im Großplenum geeinigt worden, es fanden aber auch anlassbedingte Diskussionen und Absprachen statt. Alle Bezugsgruppen und die Mahnwache standen über Walkie-Talkies in Kontakt, mithilfe von Handys konnten Bilder und Informationen an das Backoffice mit Ermittlungsausschuss und Social-Media-Team gesendet werden.

Presse

Die Besetzung löste ein großes mediales Interesse aus. Eine der Bezugsgruppen wurde von einem Journalisten begleitet, was sicherlich zu der überwiegend wohlwollenden Berichterstattung beigetragen hat.

Besonders hervorzuheben ist der Bericht des NDR. In diesen drückt der Polizeipressesprecher seinen persönlichen Respekt für das Anliegen der Aktivist*innen aus. Selbstverständlich wurde er dafür von der Polizeiführung öffentlich gerügt und musste zurückrudern. Seine Worte bestätigen den Eindruck der Gruppe, dass der Blick der Öffentlichkeit auf diese Aktion überwiegend wohlwollend ausfällt und oftmals als legitimes Mittel anerkannt wird.

Rechtliche Folgen

Fast alle Aktivist*innen wurden nach der Räumung von der Polizei in Gewahrsam genommen und zur Polizeistation nach Itzehoe gebracht. Die meisten haben die Identitätsangabe verweigert, weshalb erkennungsdienstliche Behandlungen eingeleitet wurden. Von dem Arbeitspensum überfordert, mussten Polizist*innen einige Aktivist*innen dazu nach Heide bringen. Es wurden sorgfältige Vorkehrungen getroffen, um etwa Fingerabdrücke oder Fotos zu verfälschen und einer Identifizierung vorzubeugen. Einzelne Aktivist*innen sind allerdings identifiziert worden und müssen mit Repressionen rechnen. Fast allen wurde Hausfriedensbruch und Nötigung vorgeworfen. Viele Polizist*innen auf der Station äußerten im Gespräch(sversuch) Verständnis für die Aktion. Aktivist*innen waren dennoch Gewalt etwa in Form von Misgendern, Beleidigungen und dem Aufbau von psychischem Druck ausgesetzt. Auch während der Räumung wendeten Polizist*innen in einigen Fällen körperliche Gewalt an. Immerhin waren nach wenigen Stunden alle wieder frei und wurden von der Mahnwache vor der Gefangenensammelstelle erwartet und zum Out-of-Action-Ort gefahren.

Awareness

Ein wichtiger aber unsichtbarer Teil der Aktion war die Vor- und Nachtbetreuung der psychischen Folgen der Aktion durch ein Awareness-Team. Im Vorfeld der Aktion wurden die Besetzenden von diesem auf die bevorstehenden Belastungen aufgeklärt. Zu diesen gehören Gestank, die Konfrontation mit dem Leid der Schweine, Polizeigewalt und Isolation. Bei der Aktion wurde aufeinander und auf Anzeichen einer drohenden Überforderung geachtet. Nach der Aktion wurden die Besetzer*innen in einem „Out of Action Space“ empfangen. In diesem gab es neben Ruhe, Suppe und wiedergefundenen Genossinnen , einen gesonderten FLINT und Awarenessbereich für Rückzug und Gespräche. Diese Angebote wurden von den erschöpften Aktivist*innen dankbar angenommen.

Bewertung

Einer kleinen Gruppe von Aktivist*innen mit unterschiedlichen politischen Hintergründen und Erfahrungen ist es gelungen, den Schlachtbetrieb für viele Stunden aufzuhalten. Wesentlich dazu beigetragen hat eine offene und wertschätzende Umgangsform miteinander und das gegenseitige Sensibilisieren für unterschiedliche Perspektiven, Bedürfnisse und Fähigkeiten in der Gruppe. Zudem gab es ein großes Unterstützungsnetzwerk, ohne dessen Arbeit im Hintergrund die Aktion nicht hätte stattfinden können. Das Nachbereitungsplenum am Tag nach der Aktion ermöglichte den Aktiven eine Reflexion darüber, was schlecht und was gut gelaufen ist und wie es den Anwesenden nun geht. Es bleibt ein Erfolgsgefühl und der Wille, weiterhin vernetzt und aktiv zu bleiben, auf dass die Profiteur*innen der Tierausbeutungsindustrie nicht länger ungestört agieren können.

Dieser Artikel erschien im Magazin TIERBEFREIUNG, Heft 105, Dezember 2019.


Fotos: Angelika Oetker-Kast